Dr. Daniel Dettling
Zwischen 1900 und 2020 stieg weltweit die menschliche Lebenserwartung von 31 Jahren auf 72 Jahre und hat sich damit mehr als verdoppelt. Für diesen enormen Sprung verantwortlich war die moderne Medizin mit ihren beispiellosen wissenschaftlichen Durchbrüchen. Heute, im Jahr 2024, stehen wir an der Schwelle zu einer weiteren Revolution im Gesundheitswesen. Die Rede ist von der Künstlichen Intelligenz (KI).
KI arbeitet im Umgang mit Daten sorgfältiger als menschliche Ärzt:innen, weil sie aus Milliarden von Fällen einschließlich der Behandlungsergebnisse lernt. Das Tracking von Herzschlag, Blutdruck, Blutzucker und vitaler Parameter, von denen Warnsignale an uns ausgehen, wird enorme Datenmengen generieren. Daten, die zum Zwecke einer besseren Überwachung, Früherkennung, medizinischen Behandlung und Versorgung miteinander verglichen werden können. KI wird das Gesundheitswesen vor allem in drei Bereichen revolutionieren: bildgebende Verfahren, Entscheidungsfindung und Selbstüberwachung der Patient:innen. Damit wird die KI in Zukunft einen steigenden Mehrwert hin zu einer präventiven und personalisierten Gesundheitsversorgung leisten.
KI ist die Schlüsseltechnologie unserer Zeit, weil sie über die Wettbewerbsfähigkeit von Staaten und Unternehmen entscheidet. Voraussetzung ist ein Höchstmaß an technologischer Souveränität. Dazu müsste Europa KI-Technologien selbst vorhalten, weiterentwickeln und bei ihrer Standardisierung mitwirken können bzw. über die Möglichkeit verfügen, die Technologien ohne einseitige Abhängigkeit von anderen Wirtschaftsräumen zu beziehen und anzuwenden. Technologische Souveränität ist auch Voraussetzung dafür, dass KI-Modelle im eigenen kulturellen Kontext entwickelt werden und im Einklang mit europäischen Werten stehen (vgl. dazu Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI): Gutachten 2024, S. 116ff.).
Mit dem „AI Act“, der noch vor dem Sommer 2024 in Kraft treten soll, übernimmt die Europäische Union die regulatorische Vorreiterrolle im Wettbewerb mit den USA und China. Der Act soll sicherstellen, dass für den Einsatz von KI in der EU strengere Regeln gelten. Künftig werden KI-Systeme in verschiedene Risikogruppen eingeteilt. Dabei gilt, je höher die potenziellen Gefahren einer Anwendung, desto höher die Anforderungen an die Anbietenden. Das Gesetz unterscheidet drei Risikokategorien:
Der AI Act stärkt das Vertrauen in KI und erleichtert die Nutzung der nicht riskanten Anwendungen. Damit stellt das Gesetz eine gelungene Balance zwischen dem Einsatz von KI, der Wahrung des europäischen Wertesystems und der Förderung und Stärkung von Innovationsanreizen dar. Positiv ist auch, dass der AI Act Reallabore vorsieht, welche Innovationen erleichtern und regulatorisches Lernen ermöglichen.
Noch verfügt Europa nicht über ein starkes KI-Innovationsökosystem, bestehend aus einem europäisch vernetzten Wissenschaftssystem, KI-Kompetenzen und Wagniskapital. Technologische Souveränität und globale Wettbewerbsfähigkeit hängen am Ende auch von einem KI-Ökosystem aus gut ausgebildeten Fachkräften ab, die KI-Forschung betreiben, KI-Technologien entwickeln und KI-Anwendungen sicher einsetzen. Aufholbedarf besteht vor allem bei KI-Expert:innen, hier besteht der größte Mangel in Europa. Am Ende geht es darum, große Mengen an Informationen zu verarbeiten, die Daten zu schützen und Sicherheit und Privatsphäre zu wahren.
KI kann heute mit Röntgenbildern die Lebenserwartung eines Menschen voraussagen und die individuelle Lebenserwartung erhöhen – durch die Nutzung großer Datenmengen und individualisierter Daten zu Ernährung, Schlaf und Bewegung lassen sich personalisierte Therapiepläne aufstellen, welche uns bis zu 20 Jahre länger und gesund leben lassen.
Die Ayinger Gespräche sind 2013 als unabhängiger und parteiübergreifender Gesprächskreis gegründet worden. Vom 2. bis 4. Februar 2024 hat sich der Ayinger Gesprächskreis mit dem Thema „KI & Gesellschaft im Wettlauf um die Regulierung“ auseinandergesetzt. Die Impulsreferate wurden dabei von Prof. Dr.-Ing. Sami Haddadin (Executive Director Munich Institute of Robotics and Machine Intelligence, Inhaber des Lehrstuhls für Robotik und Systemintelligenz an der TUM) sowie von Irina Orssich (Leiterin des Sektors KI-Politik in der Generalkommission CONNECT der Europäischen Kommission) gehalten.
Die Ayinger Gespräche haben das Ziel, Erkenntnisse und Expertise in die aktuelle politische Kultur und Debatte einzuspeisen: www.ayinger-gespraeche.de.
Dr. Daniel Dettling
Autor und Geschäftsführender Gesellschafter bei re:publik – Institut für Zukunftspolitik UG
Telefon: +49 89 66 55 09-0
Telefax: +49 89 66 55 09-55
Support: +49 89 66 55 09-45