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Alois G. Steidel

3. Oktober 2019

PFLEXIT - PpSG

Innovationsbremse PpSG?

Es sind nur wenige Sätze im Koalitionsvertrag von Union und SPD, die zu umfassenden Änderungen im deutschen Gesundheitswesen führen könnten. „Künftig sollen Pflegepersonalkosten besser und unabhängig von Fallpauschalen vergütet werden“, heißt es darin: „Die Krankenhausvergütung wird auf eine Kombination von Fallpauschalen und einer Pflegepersonalkostenvergütung umgestellt. Die Pflegepersonalkostenvergütung berücksichtigt die Aufwendungen für den krankenhausindividuellen Pflegepersonalbedarf. Die DRG-Berechnungen werden um die Pflegepersonalkosten bereinigt.“ 

Seit Anfang 2019 kursierte daraufhin in den sozialen Netzwerken und in den Fachzeitschriften das Schlagwort #PFLEXIT. Aber was ist das überhaupt? Wir müssen dabei deutlich unterscheiden: einerseits den persönlichen #PFLEXIT. Das bedeutet: Immer mehr Pflegekräfte geben aus persönlichen Gründen ihren Beruf auf. Ursachen sind zunehmende Arbeitsverdichtung, mangelnde Anerkennung und schlechte Bezahlung. Andererseits geht es um den System-Pflexit. Dieser #PFLEXIT wird in der Zukunft stattfinden, aber nicht die gesamte Pflegebranche berühren, sondern die Pflege in Krankenhäusern. Kritiker bemängeln seit Jahren die einseitigen Anreize des DRG-Systems, die zu einer Ausweitung lukrativer Leistungen im Krankenhaus sowie zu einem Abbau von Pflegepersonal geführt hätten. Denn mit Pflegepersonal kann kein Geld verdient werden. Mit der geplanten Umstellung der Krankenhausfinanzierung auf eine Kombination aus DRGs und Pflegepersonalvergütung reagiert die Politik auf diese Kritik. Der Ansatz ist, die Pflege aus dem DRG-Wettbewerb herauszulösen. So verschwindet der Anreiz, das Pflegepersonal möglichst knapp zu halten. In Verbindung mit der Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen in allen bettenführenden Abteilungen stelle diese eine wichtige Qualitätssicherungsmaßnahme dar, um in Krankenhäusern mit deutlich zu wenig Pflegemitarbeitern eine Erhöhung zu erreichen.

Das eine ergänze das andere, denn eine Vergütungsumstellung allein stelle nicht sicher, dass Krankenhäuser mit erheblich zu wenig Pflegenden die Mühen und Kosten der Rekrutierung auf sich nähmen, mehr Pflegekräfte einzustellen. So die Begründung. 

In diesem Zusammenhang weist Prof. Dr. rer. pol. Boris Augurzky vom RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung auf ein Problem hin, das die Umstellung mit sich bringe. Künftig müsse immer zwischen den beiden Kostenbereichen unterschieden werden. Zum Beispiel wenn es um Innovationen geht. „Wozu werden Sachmittel zur Unterstützung der Pflege wie beispielsweise Roboterassistenzsysteme gezählt?“, fragt er. „Wie bildet man die zu erwartende Ambulantisierung und Digitalisierung der Medizin in diesen parallel laufenden Vergütungssystemen ab?“ Prozessinnovationen könnten von Krankenhäusern gar nicht mehr ohne Weiteres eigenständig umgesetzt werden, weil zuerst ein Beschluss auf politischer Ebene gefasst werden müsse, in welchen Kostenbereich sie fallen: DRG oder Pflegekosten? „In letzter Konsequenz treibt die Politik damit einen Keil in die Teamarbeit der medizinischen Dienste“, meint Augurzky. 

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD indes sind viele Fragen ungeklärt, zum Beispiel, ob das Gesamtbudget der Krankenhäuser durch die Umstellung der Finanzierung steigen oder ob das Geld nur umverteilt werden soll. Denn bei einer Selbstkostenerstattung der Pflegekosten entfällt jeglicher Anreiz zur effizienten Organisation in der Pflege. Durch diese Personalmindestvorgaben in der Pflege, die aber mangels Nachwuchses nicht erfüllt werden, müssten Leistungen zwangsläufig rationiert werden. 

Der Deutsche Pflegerat (DPR) zeigt sich mit den Plänen von Union und SPD zufrieden:

»Die vorgesehene Ausgliederung der Pflegepersonalkosten neben dem Fallpauschalensystem kann der Auftakt zu einer tatsächlich bedarfsorientierten und weniger rein erlösorientierten Personalermittlung im Krankenhaus sein.«

- DPR-Präsident Franz Wagner

Es wachse offensichtlich die Einsicht, dass Personalkosten in einem pauschalierten System nicht bedarfsgerecht abgebildet würden. Vieles hänge aber von Details ab, meint auch er, zum Beispiel wie der Stellenbedarf ermittelt werde.

Keine Budgetverschiebung

Im Koalitionsvertrag heißt es auch, dass im Krankenhaus eine vollständige Refinanzierung von Tarif-steigerungen herbeizuführen sei, verbunden mit der Nachweispflicht, dass dies auch tatsächlich bei den Beschäftigten ankomme. 

Die meisten Experten gehen davon aus, dass die Kosten für die Pflege im Krankenhaus künftig steigen werden: infolge einer „deutlich zu verbessernden  Personalausstattung“ und eines Anstiegs der Vergütung. Denn die Nachfrage an Pflegekräften werde das Angebot deutlich übersteigen. Bleibt die Frage, wie viel Zeit eine Umstellung der Finanzierung in Anspruch nehmen wird. Das DRG-System mit seinem detaillierten modularen Kostenansatz eignet sich sehr gut für eine solche Umstellung, da die Pflege relativ leicht kostenrechnerisch herausgelöst werden kann. Insofern
könne eine Umstellung relativ kurzfristig erfolgen.

Zu welchen Fehlanreizen führt das DRG-System heute?

In einem unterfinanzierten System wie dem Krankenhauswesen erhöhen die unterschiedlichen Gewinnmargen der Fallpauschalen den Druck, möglichst rentable DRGs abzurechnen und bei den Fixkosten zu sparen. Die Politik hat diesen Kosten- und Preiswettbewerb in Gang gesetzt. Sie hat die Augen davor verschlossen, dass eine primär betriebswirtschaftliche Kostenkalkulation zwangsläufig zu mehr Leistungsverdichtung und Personalknappheit führt. In einem Dienstleistungssektor, bei dem der Personalkostenanteil bis zu 70 Prozent der Betriebskosten ausmacht, reagieren viele Krankenhäuser auf veränderte Entgelte für Krankenhausleistungen vor allem mit Personalabbau.

Ist der geplante Umbau der Krankenhausfinanzierung sinnvoll?

Grundsätzlich ja, denn mit der geplanten Umstellung der Krankenhausvergütung wird die bisherige Logik des DRG-Systems durchbrochen. Die Politik muss sich aber auch mit dem Kalkulationsprinzip befassen, also mit der Ermittlung des Preises anhand von Durchschnittskosten. Damit ist eine potenziell ruinöse und letztlich versorgungsgefährdende Kostensenkungsspirale in Gang gesetzt worden. Insofern können die angekündigten Maßnahmen nur ein Anfang sein.

#Pflexit: Die Ungewissheit bleibt bestehen

Am 17. Juni 2019 einigten sich die Spitzenverbände auf Bundesebene über weitere Regelungen zur Ausgliederung der Pflegekosten aus dem Fallpauschalensystem. Die erhoffte Klarheit lässt weiter auf sich warten. Die konkretisierenden Vorgaben dienen der Aufteilung von Kosten in pflegebudgetrelevant und nicht pflegebudgetrelevant. Beabsichtigt ist, dass die Verhandlung des ersten Pflegebudgets und die eventuellen Rückzahlungsabwicklungen möglichst auf einheitlichen Grundlagen ermittelt werden. Deshalb müssen die Vorgaben rückwirkend zum 1. Januar 2019 von allen somatisch tätigen Krankenhäusern angewandt werden. 

Doch spätestens bei der Ermittlung der Ausgangsbasis fangen die Unklarheiten an. Die Rede ist von „Vergütungen an Schüler(-innen) und Stationssekretärinnen, soweit diese auf die Besetzung der Stationen mit Pflegepersonal angerechnet werden“. Diese aus der KHBV (Krankenhaus-Buchführungsverordnung) übernommene Passage lässt beispielsweise offen, ob damit für Beschäftigte im Stationssekretariat die Zugehörigkeit zu einem Ausbildungsberuf aus § 2 Abs. 2 der  Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung als Nebenbedingung erfüllt sein muss. Wer über die Anrechnung auf die Besetzung mit Pflegepersonal entscheidet, bleibt ebenfalls ungeklärt. Rückstellungen sollen nicht im Jahr der Entstehung, sondern mit Inanspruchnahme in Form von Auszahlungen berücksichtigt werden. 

Für die Zuordnung einer Reihe mehr oder weniger häufigen Abgrenzungsfragen sollen priorisierte Verrechnungsschlüssel vorgegeben werden, die in Abhängigkeit der krankenhausindividuellen Datenlage anzuwenden sind. Krankenhäuser mit entsprechenden Sachverhalten sollten frühzeitig beginnen, die entsprechenden Grundlagen zu schaffen. Eine hinreichende Klarheit ist mit dem vorliegenden Regelwerk unserer Auffassung nach noch nicht erreicht. Änderungen der konkretisierenden Vorgaben sind explizit vorgesehen. Für Krankenhäuser, die die individuellen Auswirkungen durch die Ausgliederung der Pflege fundiert abschätzen möchten, bietet KMS entsprechende Auswertungen an.

Über die Errechnung der Pflegekosten

Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) berechnet die Fall pauschalen anhand der Ist-Kosten derjenigen Krankenhäuser, die sich an der Kalkulation der DRGs beteiligen. In diesem  Zusammenhang dokumentieren die Krankenhäuser mithilfe verschiedener Pflegedokumentationssysteme auch die Zeit, die die Pflegekräfte für ihre Arbeit benötigen. Gemessen wird diese Zeit in PPR-Minuten, die auf der Basis der Pflegepersonal-Regelung (PPR) weiterentwickelt wurde, mit der man in den 1990er-Jahren den Pflegeaufwand ermittelt hatte.

Konkret werden die Pflegekosten pro Krankenhaus errechnet, indem die gesamten  Pflegepersonalkosten eines Kalkulationskrankenhauses durch die Summe der dort erbrachten
PPR-Minuten geteilt werden. Die so ermittelten Kosten je PPR-Minute werden dann mit der dokumentierten Summe der PPR-Minuten multipliziert, um die Pflegepersonalkosten des einzelnen Falls zu erhalten. Die Höhe der kalkulierten Pflegekosten ergibt sich letztlich aus dem Durchschnitt aller bei der Kalkulation einbezogenen Fälle einer Fallpauschale. 

In den 1990er-Jahren wurde der mithilfe der PPR errechnete Pflegeaufwand von den Krankenkassen finanziert. Im DRG-System hingegen dienen die PPR-Minuten als Verrechnungsgröße, mit der ermittelt wird, wie sich die Pflegepersonalkosten einer Station bei den Kalkulationskrankenhäusern verteilen. Es wird also nicht der eigentlich existierende Pflegebedarf abgebildet, sondern die in den Krankenhäusern anfallenden Ist-Kosten in der Pflege. Hinzu kommt, dass es sich bei den PPR-Minuten um Normzeiten handelt, die von Kritikern als veraltet betrachtet werden, weil sie die  Arbeitsverdichtung der vergangenen Jahre innerhalb der Pflege nicht berücksichtigen.

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