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Dr. Daniel Dettling

10. November 2021

Pflege geht nur gemeinsam

Viele wünschen sich Dr. h. c. Andreas Westerfellhaus auch in der nächsten Wahlperiode als Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung. In der letzten Legislaturperiode hat der ausgebildete Krankenpfleger und frühere Präsident des Deutschen Pflegerates das Thema Pflege wie kein anderer zuvor in die politische Öffentlichkeit gebracht. Im Interview unternimmt er eine Bilanz seiner Arbeit und nennt die zentralen Herausforderungen und Aufgaben für die nächsten vier Jahre.

Andreas Westerfellhaus

»Digitalisierung kann nicht pflegen. Roboter, die pflegen können, wird es niemals geben.«

Dr. h. c. Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung
Herr Westerfellhaus, welche Schulnote geben Sie der Pflegepolitik der Großen Koalition – als früherer Präsident und als heutiger Pflegebevollmächtigter?
Westerfellhaus (lacht): Aus Sicht Beider würde ich die Note „Gut“ geben, auch wenn das bei vielen möglicherweise auf Unverständnis stößt. Als Pflegebevollmächtigter habe ich einen anderen Einblick in politische Prozesse und Diskussionen, der mir als Präsident des Deutschen Pflegerates gefehlt hat. Ich kann die Kritik verstehen, dass viele Maßnahmen schneller, besser und umfangreicher kommen müssen. Ohne Kompromisse kommt man in der Politik aber keinen Schritt
weiter. Daher ist das, was wir in dieser Legislaturperiode in der Großen Koalition erreicht haben, insgesamt ein „Gut“. Nach der Bundestagswahl geht es darum, begonnene Initiativen wie die Konzertierte Aktion Pflege fortzuführen.
Die öffentliche Wertschätzung für den Pflegeberuf ist in der Corona-Pandemie gestiegen. Warum braucht es Krisen wie diese, um die Bedeutung des Pflegesektors in die politische Öffentlichkeit zu bekommen?
Schade, dass es einer solchen Krise bedurfte! Durch Corona sieht jeder, wie systemrelevant Pflege in allen Sektoren ist. Die Pandemie hat auch für den Pflegeberuf wie ein Katalysator gewirkt.
In welche Richtung? Droht bald der „Pflexit“, eine Kündigungswelle von Fachkräften?
Für beide Richtungen gibt es Hinweise: Es gibt Beschäftigte die überlegen, den Beruf zu verlassen, aber auch eine steigende Wertschätzung für den Beruf. Ein „Pflexit“ wäre eine große Katastrophe. Wir dürfen die Veränderungen daher nicht auf die lange Bank schieben. Die Beschäftigten brauchen eine Perspektive für die Zukunft, angefangen bei der beruflichen Autonomie über Karrieremöglichkeiten bis hin zu einer besseren Bezahlung.
Was muss die Politik unternehmen, um das Vertrauen der Beschäftigten zu gewinnen?
Politik kann bessere und verbindliche Rahmenbedingungen schaffen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Arbeitszeitmodelle, Berufsautonomie, klare Personalbemessungsstrukturen in allen Sektoren, mehr Zeit für die Pflege der Menschen durch Entlastung über Entbürokratisierung und Digitalisierung. Wir können viele der geschätzten rund 150.000 ausgebildeten und rückkehrwilligen Berufsaussteiger zurückgewinnen.
Pflege Grafik
Welche Rolle spielt Digitalisierung, wo sehen Sie ihre Chancen und Grenzen?
Digitalisierung kann nicht pflegen. Roboter, die pflegen können, wird es niemals geben. Roboter können aber entlasten und assistieren. Digitalisierung kann zu Entbürokratisierung und besseren Arbeitsprozessen beitragen. In einem Pflegeheim mit 100 Versicherten müssen heute 100 Versichertenkarten bei 100 Ärzt:innen vorgezeigt werden. In der Dokumentation kann eine Digitalisierung vieles schneller und einfacher machen – wenn sie denn richtig und effizient umgesetzt wird. Eine schnelle und sichere Kommunikation dient der Patientensicherheit. Immer mehr Ältere wollen möglichst lange selbstbestimmt zuhause leben. Ohne digitale Assistenzsysteme wird das nicht funktionieren. Wir müssen gemeinsam die Menschen vom Nutzen überzeugen und die Beschäftigten beteiligen, dann machen sie mit.
Vor welchen zentralen Aufgaben steht die Pflegepolitik bis 2025?
Ich habe im Mai meine Forderungen im Hinblick auf die Bundestagswahl
und die folgenden Koalitionsverhandlungen veröffentlicht:

„Pflegebevollmächtigter legt Forderungen für eine selbstbestimmte Pflege vor“

Hier geht’s zur Pressemitteilung
Sieben Punkte sind mir vor allem wichtig. Erstens das Thema „pflegende Angehörige“: Wie können wir sie besser unterstützen und begleiten? Zweitens geht es um die Legalisierung im Rahmen der 24-Stunden-Betreuung. Wie können wir das Urteil des Bundesarbeitsgerichts umsetzen, ohne bestehende Pflegestrukturen zu zerstören bzw. um den nötigen Arbeitsschutz der Betreuungskräfte zu garantieren? Drittens die Zukunft der Pflegeversicherung: Wie können wir Pflegebedürftige und ihre Angehörigen entlasten – finanziell, aber auch durch individuelle Angebote wie eine gute Tagespflege? Viertens geht es um ein besseres Zusammenspiel der Gesundheitsfachberufe! Gut qualifizierte Pflegekräfte müssen in ihrer Autonomie gestärkt werden. Um den Beruf attraktiver zu machen, brauchen wir fünftens ein einheitliches Konzept für die Ausbildung der Assistenzkräfte. Sechstens werden wir auch mit mehr Zuwanderung den steigenden Fachkräftemangel bekämpfen können. Auch hier brauchen wir mehr Einheitlichkeit, wenn es um die Anerkennung der Abschlüsse in den Bundesländern geht. Der siebte Punkt betrifft den Zusammenhalt der Generationen und der Gesellschaft. Ich befürworte ein soziales Pflichtjahr für junge Frauen und Männer.
Westerfellhaus
Was ist Ihre Vision für den Pflegeberuf im Jahr 2025?

Meine Vision ist eine umfangreiche Autonomie des Pflegeberufs mit klaren Zuständigkeiten und Budgets von der Diagnostik bis zur therapeutischen Umsetzung, feste Personalschlüssel in der häuslichen Pflege, der Reha, der stationären Langzeitpflege und in den Krankenhäusern. Und das alles in einem eng vernetzten Zusammenspiel der Gesundheitsfachberufe. Pflege geht nur gemeinsam.


Was kann diese Vision noch bremsen oder verhindern?

Die größte Hürde ist das Wort „Aber“. Wir werden die Herausforderungen der nächsten Jahre nicht mit den Instrumenten der letzten 30 Jahre lösen können. Wir müssen uns vom alten Denken befreien, den Mut und das Engagement aufbringen und mehr ins Risiko gehen.

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